Theologie auf Reisen
– zur Kooperation mit der Theologischen Theologischen Fakultät in Rostock –
Vielleicht sollte die Überschrift noch passender „Theologie auf Gleisen“ lauten, wenn denn bloß die Mehrzahl „Gleise“ stimmen würde! Der Bahnverkehr an der ehemaligen mecklenburg-pommerschen Landesgrenze wird aber, wie reiseerfahrene Kollegen wissen, bis zum heutigen Tage auf einem einzigen Schienengleis abgewickelt. Freilich winkt Hoffnung: „Im Zuge der Sanierung soll(!) der Abschnitt zwischen Rostock und Ribnitz-Damgarten West aufgrund der aktuell hohen Zugdichte zweigleisig ausgebaut werden.“ So verheißt es Wikipedia am 12. November 2008.
Endet damit die kurioseste Gleisgeschichte Deutschlands? Leider nicht, die gute Botschaft wird gleich jenseits der Recknitz schon wieder ganz vage: „Auch beim Abschnitt Ribnitz-Damgarten West – Stralsund bestehen Überlegungen(!!), ein zweites Gleis nachzurüsten.“
Also, wenn die nordostdeutschen Schwesterfakultäten ihren seit dem 15./21. November 1995 bestehenden Kooperationsvertrag an den Gleisausbau Mecklenburg-Vorpommerns gebunden hätten, würde noch heute wenig oder nichts darüber zu berichten sein. Stattdessen sorgen seit 27 Semestern die jeweiligen ‚Reisekader beider Kollegien dafür, daß die Strecke Rostock – Greifswald/Greifswald – Rostock ihre „hohe Zugdichte“ halten konnte.
Als vor 13 Jahren unsere Kooperationsvereinbarung zustande kam, war das ein Pionierprojekt. Mittlerweile wurde er von mehreren anderen theologischen (und nichttheologischen!) Fakultäten in ganz Deutschland „abgekupfert“. Doch während einige der nachgeahmten Kooperationsvereinbarungen über den Status von Papiertigern kaum hinausgekommen sind, besteht zwischen den theologischen Fakultäten in Rostock und Greifswald eine echte Kooperation, die – was ohne Übertreibung gesagt werden darf – eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Die Idee, einen „begrenzten Lehraustausch“ zu schaffen, der die Semesterangebote wechselseitig bereichert, bewährt sich trotz aller gleisbedingten Reiseerschwernisse seit dem Wintersemester 1995/96.
Anfangs standen die fakultären Sonderbereiche im Zentrum des gemeinsamen Interesses: aus Greifswald konnte etwa jedes zweite Semester Judentumskunde und Christliche Archäologie und Kunst „importiert“ werden, während im Gegenzug Religionswissenschaft an den Ryck „exportiert“ wurde.
Die in Rostock geplante Professur für Ökumenik wurde leider ein Opfer der Sparrunden, so daß die verabredete Lehrparität im Bereich der Spezialdisziplinen längere Zeit verunmöglicht wurde. Doch schon die Väter der Vereinbarung hatten im Blick, daß die Attraktivität unserer Kooperation nicht minder durch die Vertreter unserer klassischen Disziplinen gestärkt wird. Das je unterschiedliche Besetzungsprofil bietet die Chance einer komplementären Ergänzung des Lehrangebots beiderseits der Recknitz. So konnten und wurden auch sie in den Austausch einbezogen. Vorgesehen war zunächst ein viersemestriger Rhythmus mit jeweils einem, maximal zwei Angeboten: erstes Semester AT, zweites Semester NT und RP, drittes Semester KG, viertes Semester ST und PT. In der Praxis haben sich diese Rhythmen nach aktuellem Bedarf entwickelt, bald sogar noch ausgeweitet, so daß in etlichen Semestern schon drei, gelegentlich sogar vier Angebote den Studierenden der Schwesterfakultät kredenzt werden konnten.
Auch Blockseminare, Exkursionen, Semesterbälle, Fußball-Matches, Ringvorlesungen und Konferenzen wurden schon gemeinsam bestritten. Demnächst könnten Doktorandenkollegs dazukommen. Die gegenseitige Hilfe in Berufungsverfahren war schon lange eingeführt, ist aber in der ersten Vertragsnovellierung vom 5. Dezember 2002 eigens festgehalten worden. Seit der dritten Novellierung vom 16. Dezember 2005 treffen sich die Fakultätskollegien jedes Semester, tauschen gegenseitig „mindestens zwei“ Semesterlehrangebote aus und ermöglichen einen Einsteiger/Wiederholungskurs Hebräisch in den Sommersemesterferien, der alternierend mal hier, mal dort stattfindet. So ist zwischen unseren Fakultäten Zug um Zug eine enge Vertrautheit entstanden, die in allem bil-dungspolitischem Auf und Ab dieses Bundeslandes eine solide Stütze war, über kurzfristige Engpässe hinweggeholfen und die jeweilige Eigenständigkeit gestärkt hat.
Daß die Attraktivität des Theologiestudiums in Mecklenburg-Vorpommern auch aus diesen Gründen hoch ist und dazugewann, hat sich offensichtlich herumgesprochen. Wenn wir den Maßstab des Immatrikulationszahlenanstieges in den letzten Semestern betrachten, haben unsere beiden Fakultäten zusammengenommen seit einiger Zeit selbst die größten Fakultäten Deutschlands überflügelt – und das trotz einfacher Besetzung aller Lehrstühle! So wird hier im Nordosten Deutschlands Effizienz bei minimaler Ausstattung vorgeführt.
Worauf gleichwohl noch zu hoffen ist, ist daß unsere Kooperation verkehrstechnische Folgen zeitigt. Immerhin weiß Wikipedia: „Alle Zug-Durchlässe und Brücken wurden bereits im Jahre 1999 für ein zweites Gleis ausgelegt.“ Vielleicht sollten wir die Bundesbahndirektion auf eine prägende Erfahrung seit Beginn unserer Kooperation hinweisen: der Verkehr gewinnt an Regsamkeit, wenn er wie bei uns läuft: doppelgleisig!
Irmfried Garbe