Geschichte des Lehrstuhls
Lehrstuhl für Systematische Theologie
Literaturhinweis: Tilman Beyrich, unter Verwendung von: Irmfried Garbe / Martin Onnasch: Die Theologische Fakultät Greifswald 1815-2004, in: Universität und Gesellschaft. FS zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald, Rostock 2006, Bd. 1, S. 11-165.
Johann Ernst Parow
Einer der ersten, der in Greifswald in seinen Lehrveranstaltungen vor allem Dogmatik traktierte, war Johann Ernst Parow (1771-1836). Parow war seit 1796 Adjunkt der Philosophischen Fakultät. Für Theologiestudenten las er dort auch Kirchen- und Dogmengeschichte, bis er 1813 auf einen ordentlichen Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät berufen wurde. Seit 1824 bekleidete er auch die Superintendentur der Stadt. Literarisch machte er vor allem mit seinem Grundriß der Vernunftreligion (1799) von sich reden, jedenfalls in Pommern. Darin erweist er sich als guter Kantianer. Versteht sich das Buch doch als Propädeutikum in die "Grundsätze der Critik der reinen Vernunft, insofern sie zur Berichtigung der Religionskenntnisse dienen". Zu Parows Freunden zählte Ernst-Moritz Arndt. 1818 veröffentlichte Parow eine lesenswerte Reformationsschrift: De summa quam Lutherus verbo divino asseruit autoritate. In den Jahren von Parows Ordinariat erlebte die Greifswalder Fakultät eine Blütezeit. Nimmt man die Immatrikulationsziffern zum Maßstab endete diese genau mit dessen Lebensende.
Wilhelm Gaß
1847 wurde der Systematiker Wilhelm Gaß (1813-1889) Greifswalder Extraordinarius. Er war sicher der bedeutendste systematische Theologe vor der Ära Cremer. Er hatte in Breslau, Halle und Berlin studiert, fühlte sich theologisch von Neander und Schleiermacher angezogen. Seit 1839 war er Privatdozent in Breslau, bis er 1847 nach Greifswald kam. Nachdem ihm allerdings der konservative Hermann Reuter an die Seite gesetzt worden war, wechselte er 1862 nach Gießen und schließlich 1868 nach Heidelberg. Gaß war einer der produktivsten Gelehrten seiner Generation. Neben seiner vierbändigen Dogmengeschichte (1854-1867), die in großen Teilen das Produkt seiner Greifswalder Forschung war, hinterließ er eine Symbolik der griechischen Kirche unter Einschluss der orthodoxen Liturgie, Bilderlehre und Kulturgeschichte (1872), eine Geschichte der Athosklöster (1865) und schließlich eine dreibändige Geschichte der Ethik (1881-1887). Er lehrte auch die Geschichte des Kirchenliedes. 1875 gründete er zusammen mit Reuter und Theodor Brieger die "Zeitschrift für Kirchengeschichte".
Hermann Cremer
Der bekannteste Greifswalder Systematiker ist zweifellos Hermann Cremer (1834-1903). Er wurde 1870 unter schwierigen Umständen - gegen den Willen der Bürgerschaft und der Mariengemeinde, dessen Pfarrstelle er gleichzeitig übernahm - auf die Systematisch-Theologische Professur berufen. Von Hause aus war er kein Fachgelehrter, sondern stand für eine ganz und gar der Kirche dienende Theologie. Empfohlen hatte er sich für die Berufung durch sein Biblisch-Theologisches Wörterbuch der neutestamentlichen Gräzität (1. Aufl. 1866) und während seiner Greifswalder Zeit wirkte er vor allem auch als Praktischer Theologe. Legendär war sein Homiletisches Seminar, durch das er bis zu seinem Tod 1903 mehrere Generationen von Theologiestudenten prägte. Sein unfangreiches literarisches Schaffen verteilt sich denn auch auf alle drei Felder: Dogmatik, Bibelwissenschaft, Pastoraltheologie. Heraus ragen vor allem seine Streitschriften gegen Adolf Harnack im Apostolikumstreit (Zum Kampf um das Apostolicum, Berlin1892; Das Wesen des Christentums, Gütersloh 1902), sein Buch über die Rechtfertigungslehre des Paulus (Die paulinische Rechtfertigungslehre im Zusammenhang ihrer geschichtlichen Voraussetzungen, 1899) und seine Pastoraltheologie, Stuttgart 1904. Unter Cremers Ägide bildete sich das heraus, was man später die "Greifswalder Schule" nannte: die Ausrichtung der ganzen Fakultät auf "positive" Theologie mit einer großen Ausstrahlungskraft in ganz Deutschland. Unter Cremer schnellte die Zahl der Theologiestudenten in Greifswald von 17 auf fast 400 in die Höhe. Hinzu kam bei Cremer eine Fülle von akademischen und kirchenpolitischen Funktionen: 1874/75 gestaltete er die Gründung der "Positiven Union" mit, der er jahrzehntelang viel Kraft verlieh; im Lutherjahr 1883 wurde er Rektor der Universität, deren finanzielle Geschicke er lange schon in der entscheidenden Finanzkommission begleitete; seit 1886 war er Stettiner Konsistorialrat im Nebenamt; im Zuge der preußischen Synodalverodnung von 1873 war er über zwei Jahrzehnte lang Abgeordneter und Sprecher auf allen pommerschen Provinzialsynoden wie auf den Generalsynoden Preußens; er arbeitete mit im Evangelisch-sozialen Kongreß und im Verein für Innere Mission; schließlich war er 1900-1903 entscheidend an der Gründung der damals größten vorpommerschen diakonischen Einrichtung (Johanna-Odebrecht-Stiftung) beteiligt. Auch wenn an die Wirkung und Ausstrahlung Cremers so schnell keiner seiner Nachfolger bzw. Kollegen heranreichen sollte, hat Greifswald durch Cremers Tätigkeit eine Reihe anderer bekannter Systematiker hervorgebracht. Als Extraordinarien wirkten damals Erich Schäder (1861-1936), Wilhelm Lütgert (1867-1938), Friedrich Kropatscheck (1875-1917).
Carl Stange
Einflussreich sollte später Carl Stange (1870-1959) werden. Er wurde 1904 Lehrstuhlinhaber in Greifswald, wo er auch im akademischen Jahr 1911/1912 das Rektorat bekleidete. 1912 folgte Stange einem Ruf auf den Lehrstuhl für Systematik nach Göttingen. Stange gehört theologiegeschichtlich in den modern-positiven Flügel. Literarisch war er äußerst produktiv, vor allem zu Fragen der Ethik (Einleitung in die Ethik. I System u. Kritik der ethischen Systeme. II Grundlagen der Ethik, Leipzig 1900-1901; Die Ethik Kants. Zur Einführung in die Kritik der praktischen Vernunft, Leipzig 1920) und der Religionsphilosophie (in der Greifswalder Zeit: Die Heilsbedeutung des Gesetzes, Leipzig 1904; Das Frömmigkeitsideal der modernen Theologie, Leipzig 1907; Christentum u. moderne Weltanschauung. I. Das Problem der Religion, Leipzig 1911, 19132. II. Naturgesetz u. Wunderglaube, Leipzig 1914). Für die Greifswalder Universitätsgeschichte bedeutsam ist seine Rektoratsrede: Die Stellung der Religion im modernen Geistesleben, gehalten beim Antritt des Rektorats der Universität Greifswald am 15. Mai 1911, Leipzig 1911. Überdies steuerte er wichtige Beiträge zur Lutherforschung bei. (u.a. in seinem Alterswerk: Die Anfänge der Theologie Luthers (Stud. der Luther-Akademie NF 5), Berlin 1957). Stange leitete das 1909 gegründete Apologetische Seminar und die Luther-Akademie (1932). Er begründete und gab die "Zeitschrift für Systematische Theologie" (ZSTh) heraus und bestritt einen Großteil der Beiträge selber. Zusammen mit Johannes Kunze betreute Stange auch die Reihe der "Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus" (QGP)
Johannes Kunze
Neben Stange lehrte in Greifswald seit 1905 der theologisch-konservative Johannes Kunze (1865-1927) Systematische Theologie (und bis 1911 auch Praktische Theologie). Aus seinen Publikationen ragen heraus die Monografien: Das Christentum Luthers in seiner Stellung zum natürlichen Leben, Leipzig 1918; Symbolik. Konfessions- und Sektenkunde, Leipzig 1922.
Rudolf Hermann
Als theologischer Anreger par excellence galt dann für einige Studentengenerationen Rudolf Hermann (1887-1962), der 1926 einen Lehrstuhl für Systematische Theologie übernahm und auf diesem bis 1953 wirkte. Seine "theologische Leidenschaft" prägte namhafte Theologen, wie Joachim Iwand und Jochen Klepper, die bei ihm noch in Breslau studierten. Zu seinen Greifswalder Hörern zählte Helmuth Thielicke. Herrmann kam theologisch von Martin Kähler her, philosophisch vom Kantianismus. Luthers Rechtfertigungslehre für seine Zeit neu zu durchdenken, war sein großes Thema. Seine wohl bedeutendste Monographie trägt den Titel: Luthers These: Gerecht und Sünder zugleich (1930). Durch Hermanns Initiative entstand 1928 die "Greifswalder Gelehrte Gesellschaft für Lutherforschung und neuzeitliche Geistesgeschichte". Aber Hermanns Werk umfasst ebenso einflussreiche Schriften zur Religionsphilosophie, Hermeneutik, Ethik und zum Begriff der Kirche. Über seinen Kirchenbegriff kam es 1935 zu einer bemerkenswerten Auseinandersetzung mit Dietrich Bonhoeffer und dem Predigerseminar der Bekennenden Kirche (zuerst Zingsthof/Darß, dann in Finkenwalde). Obwohl Hermann einer der Bekenntnissynodalen von Barmen und Dahlem gewesen war, warnte er jetzt vor der Aufgabe des Anspruchs Volkskirche sein zu wollen und vor der Preisgabe der Theologischen Fakultäten. Nach Kriegsende übernahm Hermann 1945 das Dekanat. 1953 wechselte er noch einmal an die Berliner Humboldt-Universität und lehrte dort bis zu seinem Tod 1962.
Wilhelm Koepp
Parallel zu Hermann wirkte seit 1922 Wilhelm Koepp (1885-1965) in Greifswald; seit 1926 auf einer ordentlichen Professur, bis er 1952 einem Ruf nach Rostock folgte. Koepp verstand sich zunächst als Statthalter des Cremerschen Erbes in Greifswald. Unter Kollegen führte er allerdings ein ziemliches Einsiedlerdasein. Seine Hauptwerk Panagape. Teil 1: Eine Metaphysik des Christentums, Gütersloh 1927 / Teil 2: Die Bildung einer metaphysischen Gottesidee des Christentums, Gütersloh 1928 sowie Grundlegung der induktiven Theologie. Kritik, Phänomenologie und Methode des allgemeinen und des theologischen Erkennens, Greifswald 1923 fanden wenig Beachtung. Koepp widmete sich außerdem der Konzipierung einer christlichen Erziehungslehre. Seit Ende der 20er Jahre leitete er die Pommersche Zweigstelle der Gesellschaft für evangelische Pädagogik.
Nach dem Weggang Hermanns nach Berlin übernahm 1953 - 1958 kurzzeitig Gerhard Koch (1912-1968) den Lehrstuhl für Systematische Theologie, bis 1958 Hellmut Bandt (1917-1976) aus Berlin nach Greifswald berufen wurde, der die Fakultät über 20 Jahre prägen sollte. Bandt begann als Lutherinterpret (Luthers Lehre vom verborgenen Gott, Berlin 1957). Angeregt von Dietrich Bonhoeffers Forderung der "nichtreligiösen Interpretation" der Bibel bemühte er sich später um eine Theologie, die die Menschen gerade auch unter den Bedingungen der DDR erreichte.
Bandt stand den Kirchlichen Bruderschaften nahe, also dem linken Flügel der Bekennenden Kirche. Insofern war politisches Engagement für ihn unverzichtbar, was ihn zur Mitarbeit im Weißenseer Arbeitskreis motivierte. Bandt setzte sich maßgeblich dafür ein, dass auch unter schwierigen Bedingungen Distanz und Freiheit gegenüber der SED-Politik an der Fakultät erhalten blieben (Zuversicht und Verantwortung. Theologie im Gespräch mit fragenden Zeitgenossen, Berlin 1980).
Bernd Hildebrandt
Nach Bandts frühem Tod übernahm 1977 Bernd Hildebrandt (geb. 1940) den Systematisch-Theologischen Lehrstuhl. Hildebrandt war in Berlin bei Hans-Georg Fritzsche Assistent gewesen. Das prägte sein besonderes Bemühen, die theologische Tradition mit den Fragen der Kirche in der DDR ins Gespräch zu bringen. Vor allem ging es ihm darum, die universitäre Theologie den Erwartungen zu entziehen, die staatlicherseits oft an sie herangetragen wurden. Hildebrandt verstand sich ganz als "Mann der Kirche". Er war über Jahre hinweg in kirchlichen Ämtern aktiv. Akademisch galt seine besondere Aufmerksamkeit der Theologie Karl Barths (Das Problem der natürlichen Theologie bei Karl Barth, Greifswald 1977) und der theologischen Ethik.
Heinrich Assel
Lehrstuhlinhaber ab 2006.
Seit 2006 lehrt Heinrich Assel (geb. 1961) die Systematische Theologie und Ethik in Greifswald.
Zur Website von Prof. Assel