Denkanstoß SS 2009

Ich glaube an…

Altbischof Dr. h.c. Horst Gienke

 

1. Sprachliche Beobachtungen

Es ist kein Geheimnis: Viele nachdenkliche Menschen haben es in der Gegenwart schwer, an Gott zu glauben, seitdem man Wissen und sogar Wissenschaft zum Gegensatz von Glauben erklärt hat. Dabei will, wer heute sagt „ich glaube“, in den allermeisten Fällen nur ausdrücken, dass er zu einer bestimmten Frage eine nicht letztlich festgelegte Meinung hat. Dieser weitverbreitete Sprachgebrauch, in dem glauben als „für wahr halten, meinen“ steht, ist erst eine recht neue Sprachentwicklung, die sich aber stark durchgesetzt hat. Für das Verständnis des christlichen Glaubens hat das ziemlich katastrophale Folgen gehabt. Unter der Hand werden für Christen entscheidende und verbindliche Glaubensaussagen schnell und selbstverständlich zu subjektiv unverbindlichen und unwichtigen Äußerungen herabgestuft, die vermeintlich vor dem Forum wissenschaftlichen Denkens nicht bestehen können. In dem dann ideologisch konstruierten Gegensatz von Glauben und Wissen wird ohne viel Federlesens der Glaube zum Verlierer erklärt. Aufklärung und Säkularismus haben zudem allen naturwissenschaftlichen Denkkategorien einen solchen Vorrang gegeben, dass der Glaube vielfach geradezu als rückständig und vorwissenschaftlich angesehen wird. Aber schon eine sorgfältige sprachliche Analyse löst dieses Missverständnis schnell auf und enthüllt den vermeintlichen Antagonismus von Glauben und Wissen als absolut irrig.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass glauben im christlichen Sinne immer mit einer Präposition verbunden ist. Während gemeinhin formuliert wird ich glaube, dass ..., heißt es im christlichen Glauben ich glaube an ... Damit wird ein entscheidender Unterschied schon sprachlich markiert. Es war Wulfila, der in seiner gotischen Bibelübersetzung zum ersten Mal für das griechische Wort pisteuein den gotischen Begriff galaubjan verwendete. Die ganze nordeuropäische Mission des Mittelalters folgte ihm in dieser Wortwahl. Es ist beachtlich, dass man sich im missionarischen Dienst um einen einheimischen Begriff bemühte und nicht auf Übersetzungen aus dem Lateinischen oder künstlich gebildete Lehnworte zurückgriff. Im Mittelhochdeutschen heißt es gelouben, im Mittelniederdeutschen geloven. Diese Form lässt überraschend die Nähe zum englischen love erkennen und macht damit eine erste erstaunliche inhaltliche Aussage. Schon in vorchristlicher Zeit verwandte man das Wort mit einem personalen Dativ für „ jemand vertrauen, sich auf jemand verlassen“. Mit dem Einzug des Christentums wird dieser alte Begriff fast ausschließlich für die Beschreibung des neuen christlichen Gottesverhältnisses beschlagnahmt. Das lateinische credo betont übrigens auch das Vertrauen in eine Sache oder eine Person. Wer einen Kredit bekommt, weiß, wie viel dabei von der ihm zugestandenen Glaubwürdigkeit abhängt. Wer bekennt ich glaube an, credo in, bezeugt die Instanz, die seinem Leben Rechtssicherheit gibt.

Lange vor der heutigen Sprachentwicklung ist mit dem deutschen Wort glauben neben dem religiösen Inhalt ein allgemeinerer Gebrauch verbunden, den das Grimm’sche Wörterbuch als „das Vertrauen, das Zutrauen einer Person oder Sache gegenüber, welches in der inneren Gewissheit besteht, dass vorausgesetzte Fähigkeiten, Kräfte und Eigenschaften sich bewähren“ beschreibt. Wer glaubt, hat für sein Leben einen Orientierungspunkt gefunden, der sein gesamtes Denken und Handeln bestimmt. Wie die kleine Kompassnadel zu jeder Zeit und an jedem Ort eine Orientierung auch in völlig unbekanntem Gebiet ermöglicht, wird der Glaube zum zuverlässigen Wegweiser in die Zukunft.

 

2. Glaube als personaler Bezug

Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied zwischen der Orientierung durch einen Kompass und durch den Glauben. Der Kompass ist ein technisches Hilfsmittel, das dem Magnetfeld der Erde vertraut. Der Gottesglaube aber lebt aus einer persönlichen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Der Anklang an das englische love ist inhaltlich völlig korrekt. Wer glaubt, liebt; er hat Liebe erfahren und antwortet darauf seinerseits mit Liebe. Wer glaubt, öffnet sich einem anderen, weil er gewiss ist, von diesem nur Gutes zu erfahren. Glauben ist eine Entfaltung der eigenen Persönlichkeit durch Hinwendung zu einem anderen und bereichert das gesamte Denken und Handeln eines Menschen. Wer käme je auf den Gedanken, seine Liebe zu einem anderen Menschen in Spannung zu seinem wissenschaftlichen Denken und seinem Sachwissen zu sehen? Glaube ist vielmehr eine wunderbare persönliche Erfahrung, die alle Kräfte mobilisiert und erneuert.

Die ganz persönliche Form „Ich glaube an“ – im Taufgottesdienst vom Einzelnen persönlich gesprochen oder stellvertretend für ihn von den Paten – unterstreicht nachdrücklich diese personale Dimension des Glaubens. Hier geht es um die unverwechselbare Begegnung eines Menschen mit Gott. Ausgangspunkt dieser personalen Beziehung ist freilich nicht der Entschluss des Menschen mit seinem Bekenntnis „Ich glaube“. Glaube setzt voraus, dass Gott einem Menschen persönlich begegnet ist. Glauben ist das menschliche Echo auf eine erfahrene Anrede und Zusage Gottes, die Sinn und Zukunft für das Leben eröffnet haben. Wer glaubt, bezeugt, dass er sich von Gott angenommen weiß und auf Gottes Zusagen vertraut. Glaube wird deshalb unter der Hand zu einem Ausdruck der Freude über erlebtes Glück in der Begegnung mit Gott. Auch wenn sprachlich loben nicht mit glauben zusammenhängen mag, gehören beide Dimensionen der Sache nach zusammen. Im Griechischen wird das durch die Wortwahl homologein für das, was im Lateinischen credo und im Deutschen glauben heißt, unterstrichen. Dieser Lobpreis-Charakter des Glaubens verbindet die einzelnen Gläubigen zu einer Gemeinde, die im Loben und Glauben vereint ist. Im Nicänischen Glaubensbekenntnis der Kirche Jesu Christi heißt es deshalb: Wir glauben an... Und Martin Luther’s Glaubenslied „Wir glauben all...“ wird von Anfang an zu einem gemeinsamen gottesdienstlichen Bekenntnis.

Die alte Taufliturgie lässt noch etwas davon ahnen, dass glauben immer auch eine Absage an alles enthält, was zu dem persönlich erfahrenen Gott und seinem Willen nicht passt. Wir empfinden heute inmitten einer Umgebung, in der viele Menschen meinen, mit dem Gottesglauben nichts Rechtes mehr anfangen zu können, das Zeugnis von unserem Glauben aufs neue als eine Einladung an alle, die Orientierung ihres Lebens auf Gott hin zu wagen und in der persönlichen Gemeinschaft mit Gott Sinn und Erfüllung des Lebens zu finden. Je häufiger in unseren Gemeinden wieder Erwachsene getauft werden, desto klarer wird dieser Bekenntnischarakter des persönlichen Glaubens. Es liegt sprachlich nahe, auch das Wort geloben in diesem Umfeld zu bedenken. Selbst wenn sprachgeschichtlich keine unmittelbaren Bezüge zu glauben gegeben sein sollten, gehören beide Worte sachlich ganz eng zusammen. Wer in seinem Glauben eine persönliche Begegnung mit Gott bezeugt, verspricht damit zugleich in dankbarer Antwort eine ihn selber verpflichtende Gemeinschaft zu diesem Gott. Das deutsche Wort Verlobung macht diesen verpflichtenden Charakter von geloben sehr schön deutlich. Glaube ist nicht eine unverbindliche Denkübung, sondern nimmt in eine verpflichtende und beglückende persönliche Bindung hinein.

Die Suche nach verbindlichen Werten ist uns Menschen tief eingestiftet. Auch wer den christlichen Glauben als Orientierung für sich ablehnt, verzichtet nicht auf eine Werteskala für sein Leben, die entscheidend aus persönlichen Erfahrungen gewachsen ist. Damit landet man aber immer nur beim „ich glaube, daß...“. Erst eine ganz persönliche Bindung an ein anderes Ich führt Menschen in eine tiefere Schicht der Wertefindung. Wer an einen anderen glaubt, erwartet von diesem Du und durch ihn Gutes für sich und viele andere. Und doch lässt sich das Vertrauen auf Menschen und auf Gott in gar keiner Weise miteinander vergleichen. Wie oft enttäuschen auch geliebte und geachtete Menschen das in sie gesetzte Vertrauen. Das kann gar nicht anders ein, Menschen versagen eben immer wieder auf allen Ebenen und in jeder Weise. Nur auf Gott ist Verlass; dafür steht sein Name. Er allein rechtfertigt, dass man an ihn glaubt.

 

3. Glauben als ganzheitliches Geschehen.

Das deutsche Wort glauben vermag freilich mit seiner Betonung des persönlichen Bezugs zwischen Gott und Mensch eine gewisse Sorge um die Zerbrechlichkeit dieser Gemeinschaft nicht völlig auszuräumen. In einer Zeit, in der viele persönlichen Partnerschaften zerbrechen, fällt das ohne Frage ins Gewicht. Das Alte Testament gebraucht interessanterweise für glauben einen Wortstamm, der von der Festigkeit und Zuverlässigkeit ausgeht. Glauben und Treue gehören hier ganz eng zusammen. Auf Gott ist Verlass. So sollst du nun wissen, daß der Herr, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält. (5. Mos 7,9) Weil Gottes Zusagen feststehen, ist es nur zu natürlich, dass Menschen sich an ihm orientieren und in ihm den Festpunkt ihres Lebens finden. Es gibt keine persönliche und keine öffentlich-gesellschaftliche Situation, in der durch die Hinwendung zu Gott nicht Boden unter die Füße kommt. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. (Jes 7,9) Im Denken des Alten Testaments verlieren die Menschen und das Gottesvolk geradezu ihr Menschsein ohne den Bezug zum lebendigen, zuverlässigen Gott. Kann diese kraftvolle alttestamentliche Sicht unserer Generation nicht bei der Entdeckung der unbedingten Zuverlässigkeit des Glaubens helfen? Der Gegensatz von Glauben heißt im Alten Testament nicht Wissen, sondern Torheit. Ohne Glauben verspielt man sein Leben und seine Zukunft.

Im weiteren Verlauf der Sprachentwicklung wird ich glaube an leider oft zum terminus technicus für den gesamten Inhalt des christlichen Glaubens. Diese Fixierung des Glaubensbegriffes auf Lehraussagen der Kirche bedeutet eine starke Verarmung und Vereinseitigung. Seit alters hat man deshalb in der lateinischen Theologensprache begrifflich zu unterscheiden versucht zwischen der fides quae creditur und der fides qua creditur. Die fides quae creditur bezieht sich auf die einzelnen Inhalte des Glaubensbekenntnisses und der christlichen Lehre, wie sie von der theologischen Dogmatik vorgetragen werden. Die fides qua creditur aber bezeichnet den lebendigen Lebensprozess, in den der christliche Glaube hineinnimmt. So wird auch leichter verständlich, warum aus der fides qua creditur die fides quae creditur wurde, die sich auf Lehraussagen bezieht. Der Glaube wird, weil er den ganzen Menschen in eine neue Lebensdimension hineinzieht, immer auch das Denken und Handeln des glaubenden Menschen betreffen. Er umfasst seine Vernunft und seine Tatkraft und wird so zur Erkenntnis und Aktion. Diese Erkenntnis lebt aus einer erfahrenen Gewissheit, der Glaubensgewissheit, die wieder ganz in den Bereich der fides qua creditur gehört. Und in der Aktion, zu der sich der Glaube durch Gottes Zuwendung herausgefordert sieht, wird aus dem Hören der Zusagen Gottes Gehorsam, Nachfolge. Glauben, Wissen und Handeln sind nicht gegeneinander ausspielbar, sondern gehören in der ganzheitlichen Lebensbeziehung des glaubenden Menschen zu Gott unzertrennlich zusammen. Auch theologisches Forschen und Lernen will zu einer einheitlichen Lebenshaltung von persönlichem Glauben, kritischem Denken und tatkräftigem Handeln verhelfen.

 

4. Glaube als Hoffnung

Das Neue Testament eröffnet über die deutschen Sprachformen hinaus noch ganz neue inhaltliche Akzente im Verständnis dessen, was für uns Christen glauben heißt. Luther übersetzt Hebr. 11,1: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Was heißt das anderes als: glauben heißt hoffen. Die deutsche Sprache bleibt mit ihren Begriffen ganz stark im Bereich von Gegenwart und Vergangenheit. Hier öffnet sich ein Horizont, der weiterführt. Der Hebräerbrief entfaltet diese Dimension an verschiedenen Gestalten des Alten Testaments. Von Abel, Henoch und Noah geht es bis zu Isaak, Jakob, Josef und Mose. Im Mittelpunkt aber steht eindeutig der Erzvater Abraham. Schritt um Schritt meditiert der Hebräerbrief die Geschichte Abrahams, wie sie das Alte Testament erzählt, unter dem Zeichen der Glaubenshoffnung. Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. (Hebr 11,8) Die Geschichte des biblischen Gottesvolkes beginnt mit einer Zumutung, vor die Gott mit seinem Wort den wohlhabenden Nomadenscheich Abraham vor fast 4000 Jahren stellt. Er soll die Weidegründe im heutigen Irak, die offenbar seit Generationen ausreichende Versorgung boten, verlassen und mit seiner Sippe nach Nordwesten wandern. Was ihn dort erwartet, weiß er nicht. Jede Wanderung durch fremdes Gebiet ist auf jeden Fall ein unabsehbares Risiko. Kann er die Verantwortung dafür übernehmen? Er schickt keine Kundschafter, er bemüht sich nicht um genauere Informationen – er gibt die Anweisung zum Aufbruch in eine Zukunft, die allen ungewiss erscheinen muss, die aber in seinen Augen gesichert ist, weil Gott ihn auf diesen Weg schickt. Glauben und Hoffen sind unlösbar miteinander verwoben.

Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden, und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. (Hebr 11,9f) Der biblische Bericht über die Wanderung der Sippe Abrahams beschönigt nichts. Ihre Erwartungen scheinen enttäuscht zu sein. Sie haben zwar ihr Auskommen auch in der neuen palästinensischen Umgebung. Aber lohnte es deshalb, die Heimat und alle Wurzeln dort zu verlassen? Über Generationen hinweg bleiben die Zugewanderten auch hier Nomaden wie daheim. Wie wird man mit einer solchen Enttäuschung fertig? Es ist eine kühne Schau des Hebräerbriefes, die Jahrhunderte, ja Jahrtausende übergreifend von einer Vision des Erzvaters spricht, der eine zukünftige feste Stadt vor sich sieht, wie sie nur Nomaden erträumen konnten. Die Stadt Jerusalem steht dem Hebräerbrief offensichtlich vor Augen, die aber, als der Brief geschrieben wird, schon in Trümmern lag, von den Römern vernichtet. So geht der Blick auf das himmlische Jerusalem, das die Gemeinde Jesu als Vollendung der Geschichte Gottes mit seinem Volk und seiner Welt in jenen Tagen herbeisehnte. Im geduldigen Warten Abrahams auf eine solche kulturelle Entwicklung für seine Sippe leuchtet eine Hoffnung auf, die Raum und Zeit überspannt und die gegenwärtige christliche Gemeinde des Gottesvolkes unmittelbar in diese Zukunftsdimension einbezieht. Darin bewährt sich der Gottesglaube, dass er sich auch in anscheinend aussichtsloser Situation an Gottes Wort hält. Gerade so erweist er sich in der Gegenwart als echt, dass er Gottes Zusagen von gestern mit Visionen für morgen verbindet. Hängt der Glaube nun doch Utopien nach?

Gerade jetzt kommt für den Hebräerbrief der Höhepunkt. Nicht von Träumereien am Kamin, nicht von Utopien wird gesprochen, sondern von Gottes einzigartiger Tat am Ostermorgen. Durch den Glauben opferte Abraham den Issak, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, als er schon die Verheißung empfangen hatte und ihm gesagt worden war: ’Was von Issak stammt, soll dein Geschlecht genannt werden.’ Er dachte: Gott kann auch von den Toten erwecken; deshalb bekam er ihn auch als Gleichnis dafür wieder. (Hebr. 11,17-19) Die von Gott selbst geforderte Opferung Issaks, mit der sich alle verheißene Zukunft für Gottes Volk in nichts aufzulösen droht, treibt das Vertrauen Abrahams auf die Spitze. Selbst da, wo alle Hoffnung vor der Zerstörung zu stehen scheint, lohnt es, sie durchzuhalten. Gott steht zu seinem Wort und schafft Zukunft nach seinem Willen. Das ist der endgültige Protest des Glaubens gegen alle vermeintlichen Gründe der Vernunft und der Realität: Gott kann auch von den Toten auferwecken. Er überbietet das Geschehen auf dem Berg Morija, indem er sich zumutet, was er Abraham letztendlich erspart: Er opfert seinen eigenen Sohn Jesus Christus und ruft ihn als Anfang des neuen Gottesvolkes in neues Leben. Hoffnung des Glaubens ist keine exaltierte menschliche Negation der Realität, sondern lebt aus der Gewissheit der bleibend gültigen Auferweckungstat Gottes.

So überrascht es nicht mehr, wenn schon der Apostel Paulus Abraham den „Vater des Glaubens“ nennt. Abraham ist unser aller Vater vor Gott, dem er geglaubt hat, der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei. Er hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, daß er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist. Darum ist es ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet worden. (Röm 4,16-18.22) Wer glaubt und hofft, hat teil an der Fülle des Heilshandelns Gottes, das im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu seine Mitte hat. Glaube hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern schöpft aus der Mitte des Handelns Gottes am Ostermorgen. Ohne die Auferweckung Jesu von den Toten gibt es keinen christlichen Gottesglauben. Wir glauben nicht auf Grund einer langen Menschheitstradition, von der schon die Höhlenzeichnungen und andere archäologische Funde Zeugnis geben. Der Glaube der Christen beginnt abrupt mit der Ostertat Gottes.

 

5. Glaube und Zweifel

Das Neue Testament verschweigt nicht, dass solcher Glaube immer wieder neu das Geschenk Gottes ist. Wir verfügen nie über den Glauben, der die Brücken in die Zukunft schon vor Augen hat. Im Markusevangelium (Mark. 9,14-29) wird uns von einem Vater erzählt, der ratlos seinen epileptischen Sohn zu Jesus bringt und ihn inständig bittet: Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns. Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben. Gilt in unserem Tagen das Nachdenken über den Zweifel und den Unglauben oftmals für wichtiger als das Gebet um den Glauben? So gewiss niemand den Glauben besitzt und über ihn in jedem Augenblick verfügt, so fest steht die Treue Gottes, die uns zugesagt ist und um die wir bitten dürfen. Zweifel und Unglaube kennen weder Zukunft noch Wege dorthin, sondern verlieren sich immer in quälender Gegenwart. Christlicher Glaube, der sich an Gottes Zusagen hält, aber eröffnet Hoffnung und weist in die Zukunft.

In vielen evangelischen Kirchen findet man Altarbilder, auf denen der sinkende Petrus dargestellt ist. Voller Freude sieht er den Herrn über das aufgewühlte Meer zu den Jüngern kommen. Nun wird alles gut werden. Der Herr selber ruft ihnen zu: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich seine Hand aus und ergriff ihn und sprach: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? (Matth 14,22ff) Auch in der Nachfolge Jesu bleibt keiner von Zweifel und Kleinglauben verschont. So sind wir Menschen nun einmal, dass wir gerade auch ganz persönliche Beziehungen immer wieder belasten und aus dem Auge verlieren. Aber Gott ist treu. Damit beginnt der Glaube täglich neu und bleibt ein Weg voller Überraschungen.

Ist der Glaube deshalb ein Wagnis? So kann nur denken, wer sich seiner Sache nicht gewiss ist. Gott aber ist die lebendige und zuverlässige Mitte der Welt. Wer sich an ihm orientiert, braucht nichts zu wagen, sondern gewinnt alles. Nicht Wissen ist der Gegensatz von Glauben, sondern Selbstüberschätzung und Einsamkeit. Im Labyrinth von Raum und Zeit brauchen wir zuverlässige Orientierung. Wer meint, er brauche so etwas nicht oder er könne sich selber seinen Weg in die Zukunft bahnen, wird am Angebot des Glaubens verlegen, vielleicht sogar achtlos vorübergehen. Wer aber nur ein wenig nachdenkt, steht schnell vor seinen Grenzen. Wie kurz ist unsere Lebenszeit – auch wenn sie ständig ein wenig verlängert werden mag – im Vergleich mit der Geschichte nur unserer eigenen kleinen Familie und unseres eigenen Volkes, geschweige mit der uns bekannten Geschichte der Menschheit. Und wie winzig sind wir, wenn wir hinaufsehen zum Sternenhimmel und nur noch taumelnd ahnen können, was sich dort in den Weiten des Weltalls ereignet, in dem wir unseren winzigen Platz haben. Wer dann immer noch meint, seinem Leben durch eigenes Denken und Handeln Orientierung geben zu können, weiß nicht, wovon er spricht. Nein, wir Menschen sind nicht die Mitte der Welt. Wir können uns und unserem Leben aus eigener Kraft zu keiner Zeit der Geschichte auf unserem kleinen Planeten Richtung und Sinn geben. Gott schenkt sie uns im Glauben an ihn. Auf der Suche nach der Zukunft unsers Lebens nimmt Gott selbst uns an die Hand. Im Glauben an ihn finden wir kleinen Menschen den großen Sinn unseres Lebens inmitten einer unendlichen Welt. Erst im Glauben werden wir, was Gott uns zugedacht hat: Menschen Gottes, kleine, aber von Gott geliebte Menschen in seiner großen Welt.

Der 1. Petrusbrief bringt alles noch einmal ganz nahe zueinander: Durch Jesus glaubt ihr an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt. (1. Petr.1,21)