SS 2011
Das Glaubensbekenntnis in meinem Leben als Pfarrer
Pfr. Reinhard Glöckner
Friedrich Spitta hat das Lied gedichtet “Kommt her des Königs Aufgebot, die seine Fahne fassen...“
Solch eine Fahne ist für mich vor allem das Apostolische Glaubensbekenntnis: Sammelpunkt der bekennenden Gemeinde, Lobpreis in jedem Gottesdienst, Grundstruktur christlicher Unterweisung. Oft habe ich den Konfirmanden gesagt: „Es ist eine alte, ehrwürdige, verwitterte Fahne, der gestickte Text erstens aus einer fremden Sprache, zum anderen aus einer weit zurückliegenden Zeit, dennoch seit vielen Geschlechtern unser Sammelpunkt zu unserer Orientierung mitten im Geschehen“. Heute mögen wir Manches anders denken und sehen. In den Jahren nach 1960 gab es eine Bewegung in vielen Gruppen und für eine ganze Reihe von Einzelpersonen, die ihr eigenes Glaubensbekenntnis formulierten, die Anstöße des modernen Denkens und Vorbehalte ihrer Gemütswahrheiten ehrlich überdachten, doch nicht, um sich von der Fahne der Kirche abzuwenden, sondern sie sich neu anzueignen. Denn es ist unsere Fahne. Es ist sozusagen die Verfassung der christlichen Gesellschaft in ihren Jahrhunderten und in ihren Ländern und Kontinenten. Diese Verfassung musste und muss sich immer wieder bewähren, denn sie ist umstritten und wird von vielen Menschen nicht anerkannt. Die bekennende Kirche zur Zeit meines Vaters und unsere evangelische Kirche zur Zeit der DDR wussten, was diese Verfassung für sie bedeutete, warum sie sich zu dieser Fahne hielten. Mir wurde zu meiner Zeit von der Schule verboten, das Kreuz auf der Weltkugel als Zeichen der Jungen Gemeinde zu tragen, das war aber seinerzeit meine 'Fahne', Zeichen der Verfassung auch meiner eigenen Existenz. Sie gibt meinem Leben seine Fassung trotz allem Unglauben und allem auch in mir lebendigen Heidentum.
Dieses Glaubensbekenntnis gibt meinem Urvertrauen Ausdruck, dass ich nicht ins Sein 'geworfen' bin ohne Halt, ohne Sinn, ohne Woher, ohne Wohin, dass ich vielmehr in der Hand Gottes bin über die Grenzen meines Lebens hinaus, so dass ich bete: „Unser Vater...“.
Dieses Glaubensbekenntnis ist für mich der Ausdruck von der Einheit unserer Welt. Bewiesen oder nicht ist es die Aussage, dass nur ein Gott ist und alle Welt von ihm und in ihm und bei allen Gegensätzen und Widersprüchen dennoch nur er immer und überall allmächtig ist. Also ist nicht Gott und Teufel, sondern Gott allein in Leben und Tod, in Gut und Böse, in Sein und Nichts. So bin ich vorbereitet auf den Drang aller Wissenschaft, die Einheit der Welt zu finden und darzustellen trotz Welle und Corpuscel, trotz Masse und Energie, trotz Genetik und Gehirn.
Dieses Glaubensbekenntnis ist für mich die Türöffnung für Dialog und Demokratie, denn es eröffnete für die Christenheit den Begriff Person. Dieser Begriff, schon von Theater und Rechtswesen vorgeprägt, eröffnet das Gespräch zwischen Einheit und Vielfalt in sich selbst sowohl für die christliche wie für die globale Ökumene aller Menschen: „dies ist der rechte christliche Glaube, dass wir ein einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einiger Gottheit ehren“ (Symb. Athanasianum).
Das Credo als Wort des Glaubens ist zugleich Antwort der Gemeinde im Glauben. So ist das Credo eine Anbindung aber in Freiheit. Wort und Antwort sind kein automatischer Ablauf, sondern fordern uns heraus als Person. Credo – ich glaube, so lautet unsere Antwort und erfasst Ursache und Rahmenwerk unserer Verantwortung. In diesem Rahmenwerk öffnete sich in der Reformation für unsere Kultur die Aufklärung, es fasst zusammen unsere Wahrheit und setzt doch unser Wissen dem Zweifel aus. Das Credo begleitet unsere Wege und verbündet sich mit unserem Gewissen. So sind wir unterwegs als Personen in Freiheit in ständiger Verantwortung vor Gott. Dies Credo gibt Wahrheit und erlaubt Zweifel, es stellt uns Christen alle in das Volk Gottes und jeden Einzelnen vor den Richter über Lebende und Tote. Es richtet unser Leben aus. Person ist ein Kennzeichen unseres Glaubens und ist geworden zum Kennzeichen unserer Zivilgesellschaft als Grundbaustein für eine demokratische Gesellschaft in Selbstbestimmung. „Person“ erobert noch immer unsere Welt selbst für Ausländer, Frauen und Kinder in der Schweiz wie in China. Alle Vormundschaft wird zurückgedrängt, und wir Menschen werden mehr und mehr mündig. In meiner Sicht ist Demokratie eine Gesellschaft in vielen Personen und viele Personen in ‚einiger‘ Gesellschaft, so wie „dies unser rechter christlicher Glaube ist, dass wir ein einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einiger Gottheit ehren.“ Ich denke, wie Sauerteig hat sich das Glaubensbekenntnis als ‚Verfassung der christlichen Gesellschaft‘ in die Gestaltung nicht nur der europäischen Zivilgesellschaft eingearbeitet.
II
Gott ist allmächtig, das heißt, er ist die Macht aller Mächte, Herr des Geschehens, Herr der Geschichte, wie uns denn die Bibel berichtet von Assur und Babylon, von Ägyptern und Persern, von Griechen und Römern und von dem Ergehen des Volkes Israel. Er ist dieses Volkes Gott, der Herr der Heerscharen: Zebaoth. Er führt dieses Volk durch Feinde, Hungersnöte, Seuchen zur Ruhe, zum Frieden und setzt mit den zehn Geboten die Fahne der Loyalität allein zu ihm und die Grenzsteine des Friedens im Inneren für das Volk. Aus diesem Volk, aus diesem Glauben kommt ‚der König der Juden‘, unser Herr Jesus Christus. Wer mit ihm glaubt, vertraut der Macht Gottes.
Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Um nicht von ihm zu reden, reden um uns herum alle Menschen von ‚der Natur‘, als ob jemand wüsste, wer oder was ‚die Natur‘ ist. Immerhin sind es die Naturgesetze, die uns angeblich zu Herren der Natur machen. Immerhin ist es der Geist der Naturwissenschaften, der uns die Welt erschließt. Für die Marxisten ist ‚die Materie‘ – so haben wir es gelernt – zugleich Inbegriff für alles Geistige.
Für mich ist erstaunlich, wie der Schöpfungsbericht für den Glauben in Israel wie für unseren Glauben feststellt: „Am Anfang schuf Gott, er sprach und es ward, und er sah, dass es gut war, und am siebenten Tag ruhte Gott von allen seinen Werken“. In dieses Glaubensschema ist eingebettet die vielleicht aus Babylon mitgebrachte Welterkenntnis in ihrer Prioritätenfolge von Chaos und Ordnung, von Finsternis und Licht, von Pflanzen und Tieren und von dem Bruder aller Säugetiere, dem Menschen, eingesetzt zum Herrscher unter den Geschöpfen. Ich scheue mich nicht, in das Glaubensschema Israels alle heutige Erkenntnis einzusetzen über Chaos und Ordnung, Finsternis und Licht, Pflanzen, Tiere und Menschen, Masse, Energie und Geschwindigkeit, ja auch den Urknall, in dem aus Energie Materie entstand. In hundert Jahren wissen unsere Enkel es noch besser. Doch hoffentlich halten sie weiterhin fest an der Fahne unserer Zuversicht und und an dem siebenten Tag des Glaubens.
Gott ist für mich das Ich der Welt, anders als die Natur in ihrem anonymen Verhalten. Denn Gott ist unser Vater. Diesen Vater können wir bitten um unser täglich Brot wie auch um die Vergebung allen Schadens, den wir in seiner Welt anrichten. Aus ständigem Gebet heraus können wir unser Leben gestalten zur Antwort auf sein Schöpferwort. Ihm können wir zutrauen das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit und, da er jenseits von Sein und Nichts sich nicht definieren noch beweisen lässt, können wir doch seinen Namen heiligen und den Erweisen seiner Gegenwart und Macht vertrauen.
III
In meiner Studienzeit traf ich auf einen Theologiestudenten aus den USA. Ich fragte ihn: “Wieso kommst Du hierher, was suchst Du in dieser Nachkriegszeit ausgerechnet in Deutschland?“ Seine Antwort: „Ich suche den Heiligen Geist“. So kam ich darauf und suche seitdem ganz persönlich nach meinem Woher und Wohin, ich suche in all meinem Leben unter all den Geistern, die mich umgeben, nach dem Geist des Heils, nach dem Heiligen Geist. Diese Suche hat mich u.a. zu Mahatma Gandhi geführt, der uns Christen endlich gelehrt hat, die Bergpredigt politisch ernst zu nehmen, der uns – wie auch Martin Luther King – geholfen hat, mit Gebet und Kerzen die Waffen des DDR-Sozialismus ruhig zu halten. Spricht denn der Heilige Geist durch einen Hindu zu uns? Ist er nicht vielmehr in der Kirche zuhause, so dass ich dort bitte, mit dieser Kraft von oben erfüllt zu werden? Gerade weil ich Pfarrer bin, weiß ich genug davon, wie viel Ungeist auch in der Kirche, auch in mir als Amtsträger dieser Institution lebt. Und darum ist mir der Artikel vom Heiligen Geist so wichtig geworden, denn dieser spricht ständig von mir und von dem, was mich als Christen angeht.
So glaube ich an den Heiligen Geist, an die Vergebung der Sünden, an die Bereitschaft, für den Schaden einzustehen, der durch Schuld entstanden ist, ein Recht aufzugeben, auf Andere böse zu sein, etwas wegzugeben, worauf ich auch hätte bestehen können.
So glaube ich an den Heiligen Geist: die Auferstehung der Toten und das ewige Leben, glaube nicht an unsere Alltagsvorstellung von Zeit, vom Ende aller Menschen und Dinge, an die Allmacht des Todes, sondern vertraue mich an der Macht aller Mächte, dem Schöpfer der Welt wie auch meines Lebens, dem das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit zugehört in Ewigkeit. Und immer, vor allem am siebenten Tag des Glaubens, tue ich mich zusammen mit Einigen, die Sünder sind wie ich, aber doch eine Gemeinschaft der Heiligen darstellen in der Zuversicht, dass Gott sie hält. Im Auftrag der Kirche ‚in den Tod Jesu Christi getauft zu einem neuen Leben‘ finde ich mich zusammen in mancherlei Formen der Gemeinde am Tisch des Herrn, um ihn für mein Leben anzunehmen in Brot und Wein, um in seinem Namen mich verbinden zu lassen mit den Schwestern und Brüdern in Christo. Mit ihnen und den Christen aller Zeit und aller Welt suche ich den Geist des Heils in der Kirche, die über alle Welt besteht (wie es denn das griechische Wort katholisch an dieser Stelle besagt).
IV
Das aber finde ich in der Kirche: ein Wissen um Jesus Christus, den König der Juden. In ihm ist das Evangelium, das Wort des Heils, Mensch geworden. Weil ihm gegeben ist alle Macht der Welt, erkenne ich, dass Gewalt nichts anderes als ein Zeichen der Ohnmacht ist. Der Tod und die Mächte des Unheils sind wohl eine Anfechtung, haben aber nicht das letzte Wort. Jesus Christus ist Person Gottes, sitzend zu seiner Rechten. Der ganze zweite Artikel unseres Glaubensbekenntnisses erinnert uns an den Reichtum der Berichte vom Leben und Leiden Jesu, von seinem Reden und Handeln, von seiner ungebrochenen Verbindung zu Gott, dem Vater. So steht uns mit den biblischen Berichten, mit den Lehren und Liedern der Kirchengeschichte, mit dem, was wir durch Kindergebete und Erwachsenenpredigten gewonnen haben, das Bild Jesu vor Augen. So ist uns Gottes Mensch als Maßstab gegeben, wenn wir unter allen Geistern in unserer heutigen Welt suchen nach dem Heiligen Geist für unser Leben, dass wir unser Leben danach ausrichten. Denn er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Dieser eine letzte Satz dieses Glaubensartikels spricht uns direkt an und hilft uns, Menschen zu sein, geschaffen nach dem Bilde Gottes, Menschen aus der Kraft der Vergebung.
V
Mitten im christlichen Europa wurde die Glaubensfahne „Gott mit uns“ im Namen der Nationen vorangetragen zu Massenmord und Untergang, wurde vom heidnischen National-Sozialismus genutzt zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Als Antwort auf diese grausige Entwicklung wurde am 10. Dezember 1948 in Amsterdam die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beschlossen und verkündet die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen. So entstand auf dem Boden unseres christlichen Glaubens eine neue Grundverfassung, sozusagen eine neue Fahne mit dem Anspruch, den Frieden zwischen Menschen voranzutragen nicht nur unter Christen sondern in der Welt aller Völker, aller Religionen. Auf dieser Fahne leuchtet hindurch, dass Gott den Menschen geschaffen hat nach seinem unantastbaren Bilde. Es leuchtet für uns Christen hindurch das Bild des leidenden und gekreuzigten Jesus von Nazareth, dem Christus in seiner unantastbaren Würde. Die Erklärung der Menschenrechte ersetzt nicht unser Glaubensbekenntnis. Dennoch ist sie für mich ein wichtiges Zeichen vom Geist Jesu Christi und eine Ermutigung für uns, dort einzutragen das Wort von der Versöhnung. Versöhnung heißt im Neuen Testament ‚καταλλαγή‘, also Tausch, wie wir es bei Jesaja lesen: “Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten“ – oder mit dem Worten eines Passionsliedes: „Dein Tod ist unser Leben, in Deinen Banden ist die Freiheit uns gegeben“. Versöhnung heißt im Englischen ‚reconciliation‘, also Wiederaufnahme des Gesprächs. Versöhnung heißt in der Übersetzung Martin Luthers: „Dieser mein Sohn, Dein Bruder, war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden worden, du solltest fröhlich und guten Mutes sein“.