SS 2013

„Theologie und die grundsätzlichen Fragen.“ Ein Denkanstoß-Projekt mit Studierenden der Fakultät

Stephan Rehm

Wissenschaflticher Mitarbeiter am Lehrstuhl Neues Testament

 

I.

Unsere Theologische Fakultät hat mit der Rubrik „Denkanstoß“ einen besonderen „Sendeplatz“ für theologische Überlegungen grundsätzlicher Art. In der Beschreibung zu der seit dem WiSe 2004/2005 existierenden Rubrik heißt es ausdrücklich, dass sich „möglichst auch unsere Studierenden mit grundsätzlichen Beiträgen zur Sache der Theologie äußern“ sollen. Um sich äußern zu können, muss man nicht sechs Jahre studiert haben. Es reicht, ein wachsamer Mensch zu sein und das Theologiestudium bzw. das Lehramtsstudium Religion mit Neugierde in Angriff genommen zu haben. Trotzdem ist es bisher noch nicht zu studentischen Wortmeldungen gekommen. Wie sonst aber sollen die Lehrenden verstehen, was die Studierenden heute als grundsätzlich erachten und was sie von ihrer universitären Ausbildung erwarten?

Als KVV-Redakteur habe ich deswegen Studierende zu Gesprächen eingeladen, in denen es um Erwartungen und Hoffnungen hinsichtlich des Theologiestudiums ging. „Weshalb studierst gerade Du gerade Theologie bzw. Lehramt Religion?“, „Was erwartest Du, nach dem Studium zu haben, was Du nur in diesem Studium bekommen kannst?“ und „Wie meinst Du, profitiert Deine Umgebung davon, dass Du über die Bibel, den Glauben, die Religion Bescheid weißt oder Bescheid wissen wirst?“ waren die Leitfragen, an denen wir uns orientiert haben. Nach Interviews mit elf Studierenden (sechs Frauen, fünf Männer) im Alter zwischen 18 und 52 Jahren bzw. zwischen dem 1. und dem 10. Semester fasse ich das Ergebnis dieser Gespräche schlaglichtartig in die folgenden 22.000 Zeichen. Als literarische Form wähle ich ein thematisch orientiertes Rollenspiel ohne Rollenbindung. Alle Redebeiträge gehen auf die Äußerungen der Studierenden zurück; mitunter mag man Originaltöne hören können. Jedoch habe ich die Meinungen von den Personen abgelöst. Alle Äußerungen sind in ihrer Funktion als Gedankensplitter fortlaufend nummeriert. Dadurch ergibt sich ein Gespräch, das formal zwar als Rollenspiel erkennbar ist, in dem aber alle alles gesagt haben könnten. Denjenigen, die sich für dieses Denkanstoß-Projekt Zeit genommen haben, danke ich im Namen der Fakultät herzlich für ihre Bereitschaft und Offenheit.

 

 

II.

1. Weshalb ich Theologie studiere? Ich will die Bibel verstehen. Ich will ein Verständnis für die Bibel erwerben, um anderen ein Verständnis für die Bibel eröffnen zu können. Das protestantische Schriftprinzip ist mir dabei sehr wichtig. Indem wir unsere eigenen Positionen an der Schrift überprüfen, werden diese auch für andere klarer. Insofern ist die Bibel wie ein gemeinsames Nadelöhr, durch das alle hindurch müssen.

 

2. Mein erster Ansatzpunkt im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Bibel wäre da das Buch Levitikus. Es begeistert mich, wenn sich der Umgang von Pfarrerinnen und Pfarrern mit der Bibel nicht in pragmatischen Fragen erschöpft, sondern wenn sie dabei auch mit fachlicher Kompetenz brillieren können. Leviticus ist hier besonders gut geeignet, weil sich dieses Buch erst durch die hebräische Lektüre in seiner Tiefe erschließt. Ich mag es nicht leiden, wenn ich einen zu laschen Umgang mit den Sprachen beobachte. Was mir das Theologiestudium persönlich bringt? Ich habe mich mit 18 taufen lassen und ich sehe das Studium als eine Vertiefung dessen an, was ich in der Taufe begonnen habe. Der Glaube schafft mir einen übergeordneten, unverlierbaren Sinn; und das gibt mir in weltanschaulichen Dingen Sicherheit, durch die ich es mir leisten kann, anderen Positionen offen gegenüber zu treten.

 

3. Offenheit ist schon gut, aber ich finde, die Gesellschaft braucht uns Theologen, damit wir klare Gesprächsbeiträge liefern zu den Themen, die gerade öffentlich diskutiert werden. Da geht es um konkrete Vorstellungen von Ethik, z. B. zum Umweltschutz – wie soll man sich sonst orientieren? Kurz gesagt: Offenheit steht für Zuhören, und das ist wichtig. Irgendwann muss es aber auch einmal konkret werden.

 

4. OK, das sehe ich ein. Ich meine, dass man, um zu konkreten eigenen Positionen zu gelangen, einen längeren Erkenntnisweg gehen muss. Ich muss verstehen, wie und was die Autoren der Bibel damals gedacht haben, als sie ihre Bücher schrieben. Die Frage, was verlässliche Positionen heute sind, gewinnt damit übergreifenden Charakter – so übergreifend, dass es keine objektive Wahrheit mehr gibt; jedenfalls ist sie nicht von Menschen erfassbar. Es gibt nur noch meine und deine Wahrheit. Falls Du meine wissen willst: „Ich glaube an Gott, aber ich weiß nicht, ob es ihn gibt.“

 

5. Das ist eine große Aussage. Wenn ich einmal Pfarrerin sein werde, sehe ich es als meine Aufgabe, christliche Deutungen des Lebens im Kleinen zu vermitteln. Dazu muss ich vom theologischen Ross herunterklettern. Wenn ich nach Hause komme, kommt es schon einmal vor, dass mich keiner mehr versteht, weil ich mir so ein Theologen-Sprech angewöhnt habe. Es ist ja aber klar: Bevor ich reden kann, muss ich erstmal zuhören. Leider gibt es da nicht viel zu hören. Ich habe den Eindruck, dass viele gar kein Interesse für Religion haben. Sie reden lieber über anderes; theologische Fragen treten erst im Katastrophenfall auf. Im Alltag ist die Kirche nicht mehr greifbar. Ich stehe sozusagen auf meinem Theologenberg, und viele aus meiner Umgebung stehen auf dem Berg ihrer areligiösen Themen, und keiner steht in dem Tal, in dem man sich treffen könnte. Bei Licht besehen sind das alles eher keine Erwartungen und Hoffnungen, sondern ich sehe eher Befürchtungen und Herausforderungen.

 

6. Zu Furcht ist an dieser Stelle, denke ich, nicht zu raten. Es ist einfach so: Manche leben ihr Leben hedonistisch und sind daraufhin orientiert, mitzunehmen, was geht. Andere haben ein hartnäckiges religiöses Bedürfnis. Vor diesem Hintergrund kann ich es durchaus nachvollziehen, wenn die Theologie für manche nur die Existenzberechtigung einer Feuerwehr hat: „Gut wenn sie da ist, aber besser, wenn man sie nicht braucht.“ Wenn die Theologie also für viele Zeitgenossen überhaupt keine unmittelbare Relevanz mehr besitzt, dann sollte sie doch wenigstens in sich selbst eine Relevanz bewahren, indem wir an der Uni die Forschung voranbringen und wenigstens in wissenschaftlicher Sicht interessant bleiben.

 

7. Also aus meiner Sicht stehen weder die christlichen Deutungen noch die wissenschaftliche Attraktivität im Zentrum des Interesses. Das Theologiestudium ist für mich vor allem ein Kennenlernen der christlichen Tradition und ihrer Geschichten; ein richtiger neuer Lebensbereich, den ich mir da erschlossen habe. Genau das gebe ich im Unterricht weiter: Ich stelle für die Schülerinnen und Schüler einen Erstkontakt mit Religion her. Das wird geschätzt; sie finden es offenbar interessant. Viele finden Philosophie doofer als Religion und kommen dann in den Reli-Unterricht. Mein Unterricht lebt von Bildern und Geschichten. Gott muss ich als Lehrerin der Sekundarstufe I nicht zur Sprache bringen. Besser, die Kinder tun es. Deren Gottesbild ist zwar eher mythisch, so „Gott als alter Mann“, aber immerhin kennen sie das Wort schon mal. Ich selbst lebe auch eher in den Geschichten, als dass ich explizit sagen könnte, was Gott für mich ist. Sicher keine personale Größe. Und, man staune: Trotzdem, dass ich oft zu den Randzeiten unterrichte, in denen kaum etwas geht außer Bilder und Geschichten – es bleibt etwas hängen. Die Bibel wird als Arbeitsgrundlage akzeptiert; sogar die Zusatzliteratur, die ich bereitstelle, ist gewöhnlich zu einem hohen Prozentsatz in Benutzung. Mit diesen Erfahrungen kann ich gut leben. Auf jeden Fall ist das Studium ein großer Gewinn für mich, und ich studiere gerne nach meinen Interessen weiter.

 

8. Dass das Theologiestudium wirklich sehr interessant ist, kann ich auch für mich sagen. Ich schätze, dass wir Theologiestudierenden breite methodische und inhaltliche Kompetenzen erwerben können, und ich studiere erst einmal für mich selbst. Ich frage mich aktuell, wie ich grundsätzliche Fragen wie „Wer bin ich in der Welt?“ beantworte, und welche Antworten andere Menschen darauf geben. Ich frage mich auch, was in der „Welt“ anders ist als in der „Kirche“. Wenn wir Christen „Salz“ in der Welt sind, dann müssen wir aber auch in der „Suppe“ bleiben, will sagen: Wir müssen Nichttheologen und deren akademische Veranstaltungen besuchen und durch die Wissenschaftlichkeit der Theologie eine Brücke zu den anderen Menschen erhalten.

 

9. Ich schließe mich dem an, dass Theologie interdisziplinär offen bleiben sollte. Gerade wenn ich mich mit Studierenden der Germanistik oder der Geschichte unterhalte, gibt es oft Überschneidungspunkte.

 

10. Fragt eigentlich keiner danach, wie es mit dem Glauben bestellt ist, wenn wir uns so stark auf unsere Dialogfähigkeit mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen konzentrieren? Ich bin jetzt nicht gerade der Meinung, dass ich im universitären Theologiestudium meinen Glauben verliere, da ich weiß: Ich falle nicht tiefer als in Gottes Hand; insofern habe ich beim interdisziplinären Dialog keine Angst um meinen Glauben. Gelegentlich erlebe ich es aber, dass das Profil von Theologen aufweicht, wenn sie um des Dialogs mit anderen Wissenschaften willen allzu allgemein sprechen. Theologie soll meines Erachtens nicht niederschwellig sein. Manche theologischen Erkenntnisse lassen sich nur unter Nutzung einer theologischen Sprache aussagen. Glaube ist unterschieden von der Welt, und das Reden über den Glauben darf auch unterschieden sein von allgemeinem Reden, oder besser: Wer Glaubenserfahrungen gemacht hat, spricht anders als Menschen, die das nicht haben. Dadurch wird Glaube weitergegeben. Wie das konkret geschieht, muss ich natürlich hinterfragen, und das will ich im Rahmen des Theologiestudiums auch tun.

 

11. Schaue ich auf das nicht-akademische Umfeld, aus dem ich komme, dann habe ich einen anderen Zugang. „Den Glauben weitergeben“ funktioniert meines Erachtens nicht durch eine besondere Sprache des Glaubens, sondern durch mich als Person, wie ich mit meiner biographischen Geschichte dastehe. Hinsichtlich meines Pfarrerbildes setze ich den Akzent eher darauf, Moderator zu sein. In meiner Glaubensbiographie zieht es sich durch, dass sich Kirche als ein Raum positiver Begegnungen zwischen Menschen erwiesen hat. Natürlich muss man da verständlich reden. Aber das gemeinsame Reden ist vom gemeinsamen Glauben inmitten der Welt und vom Ausdruck dieses Glaubens bestimmt. Ich denke, Reden in der Gemeinde ist eher Austausch als Richtungssuche. Die Menschen in meinem Umfeld haben eher ein negatives Bild von Kirche: Da muss man Kirchensteuer zahlen, Kirche schränkt im Denken ein, und man bekommt gesagt, was man zu denken hat. Dass dem nicht so ist, will ich zeigen. Vom Theologiestudium erwarte ich mir das richtige hermeneutische Handwerkszeug, damit das gegenseitige Verstehen nicht blockiert wird. Als Pfarrer möchte ich möglichst viele Stellen, an denen Kirche zutage tritt, zu Orten umfunktionieren, an denen man miteinander über den Glauben spricht, um des Sprechens willen. Es wäre gut, wenn auch im Gottesdienst mehr dialogische Strukturen ausgebildet werden würden, z. B. durch zusätzliche Elemente wie Theaterspiel.

 

12. Meine Güte, bei so einem klaren Bild einer beruflichen Zukunft erschrecke ich, denn so ein Bild habe ich nicht. Ich rede erst seit ungefähr einem halben Jahr bewusst mit Gott, nachdem mich ein katholischer Priester ermutigt hat, Gott zu sagen, dass ich mit ihm ein Problem habe, weil ich ihn nicht spürte. Seitdem ging es von 0 auf 100 zum Studium. Der Pfarrer, der mich konfirmiert hatte, hat mich dazu ermutigt. Was sich verändert hat? Mein Umfeld spiegelt mir zwar wider, dass meine Zufriedenheit auf andere abstrahlt, aber über den Glauben kann ich mit meinen Freundinnen nicht so richtig sprechen. Dass mein Gottesverständnis noch nicht so klar ist, merke ich in der Bibelkunde: Wenn ich innerhalb einer Woche die gesamte (gewaltgeprägte) Geschichte der Urväter lesen muss, kriege ich das überhaupt nicht mit meinem Gott zusammen. Ich setze mich deswegen viel mit Gott auseinander. Da bin ich froh, dass mir das Studium noch Zeit lässt. Vermutlich brauche ich diese lange persönliche Entwicklung, um an den Sachauseinandersetzungen des Studiums zu reifen. Hebräisch zu lernen, ist für meine Selbstdisziplin sehr herausfordernd; ich denke aber, es tut mir gut. Trotzdem hoffe ich ähnlich wie mein Vorredner, anderen Menschen am Ende nicht als religiöser Profi entgegenzutreten. Lieber als Mensch zu Mensch, beide unter einem Gott.

 

13. Am Anfang des Studiums stehe ich auch. Ich studiere, um als Pfarrer einmal etwas zu bewirken. Am Theologiestudium schätze ich, dass viele Wissenschaftsbereiche ineinander verschmelzen. Zwar ist das Theologiestudium ein wortreiches Unternehmen. Im Hinblick auf das Pfarramt denke ich aber trotzdem, dass auf Dauer das Tätigsein eines Pfarrers mehr zählt als die theologischen Worte.

 

14. In den Beiträgen eben ging es darum, wozu Theologie für uns persönlich oder für zukünftige Pfarrer gut sein soll. Ich studiere Religion im Beifach und muss als Lehramtsstudentin für Germanistik und Philosophie an den Anfang eine Beobachtung stellen: In der Theologischen Fakultät herrscht ein anderes Klima, und das liegt meines Erachtens daran, dass eine hohe Identifikation der Personen in der Theologischen Fakultät mit der Sache der Theologie vorliegt. Damit meine ich nicht so sehr die Lehrenden; bei denen setzen Studierende eine persönliche Identifikation mit der Sache voraus. Ich merke es an der Freundlichkeit der Dekanatssekretärin und des Bibliothekspersonals, und daran, dass die Studierenden hier vorbereitet in die Seminare gehen. Und wenn Studierende einmal nichts wissen, dann sind sie wenigstens still und verbergen ihr Unwissen nicht hinter Schwatzhaftigkeit.

 

15. Wenn jetzt gerade die Lehrämtler das Wort ergreifen, reihe ich mich auch mal ein. Ich könnte eine längere Geschichte erzählen, wie ich über Umwegen zur Theologie gekommen bin. Aber jetzt, wo ich in der Theologischen Fakultät studiere, sage ich: Theologie macht unerwartet viel Spaß! Ich kann Themen wie „Sektenkunde“, die mir schon immer vertiefenswert erschienen, mal anpacken. Außerdem finde ich es prima, dass wir jetzt einen Religionswissenschaftler haben. Die dogmatischen Themen erscheinen mir aber eher alltagsfern. Dogmatik ist ja so eine Art Philosophieren, mehr über Gott als über die Welt. Und da sehe ich doch deutliche Grenzen, da ich mit meinen Geographenfreunden beispielsweise schlecht über Gott philosophieren kann. Prädestination oder Theodizee sind da keine Themen. Persönlich ist mir Gott trotzdem wichtig: Er ist ein Rückhalt in schwierigen Zeiten, und ich habe ein grundlegendes Gefühl davon, dass Gott mir nahe ist. Allerdings erlebe ich es auch, dass das Glauben durch das Theologiestudium schwieriger geworden ist. Die Frage, wie sich Gen 34 und das 5. Gebot zueinander verhalten, hatte ich vorher einfach nicht…

 

16. Mmh. Soeben sagte die Person, Theologie macht Spaß. Schön, wenn es so ist, aber das ist nicht mein Zugang. Ich sehe es ähnlich wie die Lehrerin oben: Gerade die Menschen in MV haben ein unwahrscheinliches Nachholbedürfnis im Verständnis von Religion. Sogar Studierende in meinem Umfeld sind überrascht, dass eine JG nicht automatisch eine Sekte ist, und dass Kirchengeschichte keine innerchristliche Selbst-Rechtfertigungsdisziplin ist, sondern eine kritisch-historische Wissenschaft. Als zukünftige Lehrerin möchte ich Kinder in ihrer religiösen Entwicklung begleiten. Ich denke, unsere religiösen Entwicklungsprozesse sind unabgeschlossen, solange wir keine Zufriedenheit gefunden haben. Reife Leute sind dann gefestigt – im Glauben, oder auch im bewussten Nicht-Glauben. Geschichtsunterricht ist für mich Demokratieerziehung; Religionsunterricht sollte zu Toleranz erziehen. Es ist doch klar, dass Toleranz zu üben schwierig ist, wenn religiöse Anspielungen nicht verstanden werden. Ich finde, der Religionsunterricht muss ernster genommen werden. Nicht nur von staatlicher Seite, auch in der Gestaltung der Lehrveranstaltungen. Wo gibt es Kooperation mit den Schulen außerhalb der Didaktik in den theologischen Hauptfächern? Leider habe ich oft den Eindruck, dass sich das Studium weit von der realen Welt der Schulen entfernt…

 

17. … und das führt leider dazu, dass viele Nicht-Wissende viel Blödsinn über die christliche Religion sagen. Deshalb erwarte ich mir vom Studium apologetische Fähigkeiten. Im Bauchgefühl habe ich etwas dagegen, dass das historische Gewicht der Theologischen Fakultäten gar nicht mehr plausibel ist. Wenn komplexe Fragen unter Absehung von Gott beantwortet werden, fehlt doch etwas. Nach meinem Studium möchte ich den All-Erklärungsanspruch mancher Wissenschaften anfechten können. Ich ahne bereits, dass theologisches Rede schwieriger ist, als beispielsweise die Formalsprachen der Philosophie oder der Literaturwissenschaft zu beherrschen. Glaube kann ja nicht sachlich verifiziert werden; die Entscheidung über seine Wahrheit fällt sozusagen zwischen den Zeilen des theologischen Redens. Das finde ich, ist eine ziemlich große Herausforderung, und das will ich im Studium lernen.

 

 

III.

Nachdem ein mögliches Gespräch unter Studierenden über die grundsätzlichen Fragen bezüglich des Theologiestudiums (re-)konstruiert wurde, möchte ich formulieren, was ich persönlich durch die Interviews mit unseren Studierenden gewonnen habe: Es ist ein starkes Bewusstsein davon, dass durch die Möglichkeit persönlicher Begegnungen mit den Studierenden ein entscheidender Sinn-Aspekt der Arbeit der Lehrenden potentiell gegeben ist.

Ich bin mir sicher, dass alle Lehrenden und sicher die meisten Studierenden ähnliche Erfahrungen der Sinnstiftung durch das Miteinander-Reden gemacht haben. Das Besondere an den Denkanstoß-Gesprächen hat für mich darin bestanden, dass ich innerhalb eines institutionell abgesicherten Rahmens Gelegenheit erhalten habe, elf verschiedene Persönlichkeiten mit biographischer Tiefenschärfe sehen zu dürfen. Dabei habe ich völlig verschiedene Akzente beobachtet; jede Persönlichkeit brachte ein sehr eigenes Gepräge und eine akzentuierte Erwartung im Hinblick auf das Studium mit. Erwartet hatte ich angesichts des gemeinsamen Gegenstandes „Theologie(-studium)“ Aussagen, die hinsichtlich ihres Inhaltes vergleichbar gewesen wären. Stattdessen zeigte es sich, dass die jeweilige geistige Vorprägung, das eigene Vorverständnis von Glauben und die eigene gemeindliche Herkunft – falls vorhanden – viel schwerer wiegen hinsichtlich der Motivationen zur Theologie und der Erwartungen von der Theologie als der Gegenstand, der allen Theologen gemeinsam aufgegeben ist. Das biographische Erzählen dominierte deutlich gegenüber der theologischen Rede. Vielleicht waren aber auch knapp 60 Minuten zu wenig Zeit, um die thematisierten Grundfragen von der Theologie her zu beantworten.

Margot Käßmann bemerkte jüngst in einem Interview mit Sarah Kuttner (Bambule. Das Magazin, ausgestrahlt am 27.09.2012, 21.45 auf ZDF neo) wertschätzend: „Manchmal denke ich, dass [im Vergleich zu älteren Gläubigen] die jungen Leute, die glauben, bewusster glauben, […]. Heute ist es eher etwas Besonderes, wenn ich Christ oder Christin bin und sage, da stehe ich zu, und das ist mein Lebenshalt.“ Wir können davon ausgehen, dass viele derjenigen, die die Lehrveranstaltungen der theologischen Fakultät besuchen, so zu charakterisieren sind: Der Glaube gibt ihnen Lebenshalt, und sie leben diesen Glauben in bester Konsequenz, indem sie Theologie studieren. Das hat sich in allen Denkanstoß-Gesprächen bestätigt. Wer geneigt ist, von Theologie- und Lehramtsstudierenden die Fähigkeit zu theologisch-abstrahierender Rede zu erwarten, möge vorsichtig sein: Viele Gläubige sind (noch) nicht in erster Linie an der argumentativen Entfaltung ihres Glaubens interessiert, sondern – wie zu sehen war – an einer grundsätzlichen kulturellen Verständigungsleistung. Klare theologische Aussagen brauchen wir gewiss, um als theologische Wissenschaft gesellschaftsrelevante Orientierung geben zu können; persönlichen Austausch brauchen wir aber, um uns inmitten einer oft versachlichten Berufswelt weiterhin als Personen wahrnehmen zu können. Da unsere Persönlichkeiten sehr verschiedenen geprägt sind, kann die kulturelle Verständigungsleistung also schon innerhalb der Universität beginnen.

Wie die Denkanstoß-Gespräche nahegelegt haben, setzen die Studierenden hinsichtlich ihres Interesses und ihrer Erwartungen jeweils einen ganz eigenen Akzent. An dieser Stelle tut sich neben dem Bemühen um die gemeinsame theologische Sache ein zweiter „Forschungshorizont“ auf: Mit dem lebensweltlich-biographischen Hintergrund einer/eines jeden Studierenden stehen neue und vielfältige Sachbezüge im Raum, denen wir als Lehrende stückweise gerecht werden können, indem wir sie kennen und von ihnen her denken lernen. Dieser Horizont ist in keiner Studien- und Prüfungsordnung zu finden. Wer ihn jedoch ignoriert, geht an einem unwahrscheinlichen Schatz kommunikativen Potentials vorbei. Wir als Dozentinnen und Dozenten – so lautet mein Fazit im Horizont der Denkanstoß-Gespräche – sind herausgefordert, die Lebenshintergründe der Studierenden als Sachgrundlage für die Kommunikation kennenzulernen und das eigene Denken von deren vielfältigen Lebenswelten beeinflussen zu lassen. Lehrende werden hier zu Lernenden, heute mehr denn je. In diesem Sinn wünsche ich nach diesem Denkanstoß viel Freude beim Denken und Lernen!